FAQ

Was soll mit dem Demokratisierungsvertrag erreicht werden, und warum brauchen wir eine Europäische Versammlung?

Mit dem Demokratisierungsvertrag (DemV) soll den Bürgerinnen und Bürgern die Möglichkeit gegeben werden, Ungleichheiten abzubauen und in Europa für wahrhaft soziale, steuerliche und ökologische Gerechtigkeit zu sorgen. Bislang hat die europäische Integration vor allem den mächtigsten und mobilsten Akteuren aus der Wirtschafts- und Finanzwelt genutzt: den großen multinationalen Firmen und privaten Haushalten mit hohem Einkommen und Vermögen.

Mit der Schaffung einer Europäischen Versammlung versetzen sich die Staaten, die dies möchten, in die Lage, die reichsten Akteure gerecht zu besteuern und mit diesen Mitteln einen Haushalt zu finanzieren, der die Errichtung eines europäischen Modells auf der Grundlage von gleichberechtigter, sozialer und ökologischer Entwicklung ermöglicht. Im Rahmen des gegenwärtigen Institutionengefüges ist dies nicht möglich, insbesondere weil das Vetorecht der einzelnen Mitgliedstaaten jegliche gemeinsame Steuerpolitik verhindert.

Werden nicht einige Länder ihr Veto gegen dieses Projekt einlegen?

Nein. Das Projekt ist so angelegt, dass es von den Ländern, die sich daran beteiligen möchten, umgesetzt werden kann, ohne dass andere Länder ein Veto einlegen können.

Allgemein ist der Mangel an steuerlicher und sozialer Gerechtigkeit in Europa in den letzten Jahren in allen Ländern und allen politischen Lagern viel stärker in das Bewusstsein der Öffentlichkeit gerückt. Vor allem ist heute allseits bekannt, dass die Gewinne der größten Unternehmen viel geringer besteuert werden als die von kleinen und mittleren Unternehmen und dass Haushalte mit hohem Einkommen und Vermögen geringer besteuert werden als die Mittel- und Arbeiterschichten. Diese Tatsache untergräbt den Gesellschaftsvertrag und die Zustimmung zu einer europäischen Besteuerung. Dennoch hat bislang noch keine Regierung praktische Maßnahmen zur Überwindung dieser Blockade vorgeschlagen. Deshalb sind wir der Ansicht, dass ein konkreter Plan, der zur Lösung dieses Problems führt und für mehr steuerliche und soziale Gerechtigkeit in den EU-Ländern sorgt, den Anforderungen des heutigen Europa entspricht und wahrscheinlich in der Mehrzahl der Mitgliedsstaaten auf Zustimmung stößt.
Außerdem ist das Projekt so angelegt, dass es zunächst von einer beliebigen Anzahl von Mitgliedstaaten umgesetzt werden kann. Rechtlich steht die Logik des Demokratisierungsvertrages in keiner Weise im Widerspruch zu den gegenwärtigen Verträgen der Europäischen Union. Vielmehr werden diese vervollständigt, indem für die Länder, die dies wünschen, eine neue, gemeinsame Finanzhoheit geschaffen wird. Daher erfordert das Inkrafttreten des Demokratisierungsvertrages auch nicht die Zustimmung aller EU-Mitgliedstaaten. Dieser Punkt ist zentral: Es geht ja gerade darum, ein mögliches Veto der Länder, die ein gemeinsames Steuersystem ablehnen (z.B. Luxemburg oder Irland), zu umgehen.

Wie viele Länder müssen den DemV annehmen, damit er in Kraft treten kann?

Wünschenswert wäre, dass der DemV gleich zu Beginn von einer großen Anzahl von Ländern unterzeichnet wird, vor allem von den vier Hauptländern der Eurozone (Deutschland, Frankreich, Italien und Spanien), die zusammen mehr als 70% der Bevölkerung und des Bruttoinlandsproduktes der Eurozone stellen. Aus diesem Grund haben wir die Schwelle für das Inkrafttreten des Vertrags (Artikel 20 DemV) bei 70% angesetzt. Dies würde den unterzeichnenden Ländern überdies hinreichende Legitimation verschaffen, um in die Regulierung der Währungsunion einzugreifen.

Doch der Vertrag kann auch dahingehend verändert werden, dass für sein Inkrafttreten die Annahme durch weniger Länder genügt, die damit ihrem Willen zum Vorangehen Ausdruck verleihen können. Vor allem können sie damit anderen Ländern ihr Interesse an einer gemeinsamen Besteuerung und einem Demokratisierungshaushalt signalisieren. Nichts hindert zum Beispiel Frankreich und Belgien oder Frankreich und Deutschland daran, eine gemeinsame Versammlung zu schaffen, die über eine eigene Steuerhoheit zur Finanzierung eines gemeinsamen Haushalts verfügt.

Kann dieses Projekt schnell umgesetzt werden?

Ja, innerhalb weniger Monate.

In den Jahren 2011 und 2012 wurden innerhalb weniger Monate neue Verträge geschlossen, die eine vollständige Reform der Haushaltsvorschriften in Europa beinhalteten. Dazu gehörten der neue Haushaltsvertrag (Vertrag über Stabilität, Koordinierung und Steuerung in der Wirtschafts- und Währungsunion), auch bekannt als SKS-Vertrag, sowie der Vertrag zur Schaffung des Europäischen Stabilitätsmechanismus (ESM). Das Problem ist, dass diese Verträge lediglich die Intransparenz und die Sparpolitik in Europa gestärkt haben. Doch ihre rasche Annahme beweist, dass eine Annahme des Demokratisierungsvertrags technisch ohne weiteres möglich ist, vorausgesetzt der politische Wille ist da und die Bürgerinnen und Bürger sorgen gemeinsam mit den politischen Bewegungen dafür, dass dies geschieht. Wir werden Europa nicht erfolgreich umgestalten, indem wir uns immer wieder sagen, dass überhaupt nichts möglich ist.
Dennoch lehrt uns die Erfahrung mit anderen Vertragsänderungen, dass es schwierig sein kann, solche Reformen nüchtern und sachorientiert umzusetzen, und es häufig nur unter dem Druck unerwarteter Ereignisse und Krisen (wie dem Anstieg der Zinssätze im Herbst 2011) möglich ist, sich auf Änderungen dieser Art, die vorher für unmöglich gehalten wurden, zu verständigen.
Ob nun Vorschläge wie der DemV in Ruhe angenommen werden können (was selbstverständlich unser Wunsch wäre) oder im Zuge zukünftiger wirtschaftlicher oder politischer Krisen (was angesichts der aktuellen Lage kaum auszuschließen ist) – es hindert uns nicht daran, über die nächsten Änderungen im Vertrag zu diskutieren, im Gegenteil: Zur Vorbereitung auf zukünftige Krisen brauchen wir einen Handlungsplan zum Wiederaufbau Europas auf einer besseren Grundlage. So verhindern wir, dass später wieder in letzter Minute eine mangelhafte Neufassung der Verträge zusammengeschustert wird, weil vorher keine angemessene Diskussion darüber stattgefunden hat.

Besteht nicht das Risiko, dass das Projekt aus Angst vor einer Transferunion abgelehnt wird?

Nein, denn das Projekt sieht explizit vor, dass die Differenz zwischen den Einnahmen und Ausgaben bzw. Rückzahlungen, die die verschiedenen Unterzeichnerstaaten jeweils erhalten oder bezahlen, nicht größer sein darf als 0,1% des jeweiligen BIP (Artikel 9 DemV). Dieser Schwellenwert kann, falls nötig, weiter gesenkt werden, ohne dass sich das Projekt dadurch im Kern verändert.

Dies ist ein entscheidender Punkt, denn das Schreckgespenst einer „Transferunion“ ist zu einem großen Hindernis geworden, wann immer über Europa nachgedacht wird. Die zentrale Herausforderung für die Europäische Union ist heute jedoch nicht die Organisation riesiger Transfers zwischen den einzelnen Mitgliedstaaten, sondern die Verringerung der Ungleichheit innerhalb dieser Länder. Materiell gesehen sind die Ungleichheiten innerhalb der einzelnen Länder viel größer als die Ungleichheiten zwischen den Ländern – darum unser Vorschlag, sich auf die erstgenannten zu konzentrieren. Es gibt reiche Steuerzahler in Griechenland und arme Steuerzahler in Deutschland: Aus diesem Grund ist der DemV so angelegt, dass erstere (und allgemein alle reichen Steuerzahler in Europa) stärker in die Pflicht genommen und letztere (und allgemein alle armen Steuerzahler in Europa unabhängig von ihrem Wohnort) entlastet werden.

Wozu brauchen wir gemeinsame Steuern?

Der Steuerwettbewerb zwischen den europäischen Ländern hat dazu geführt, dass die Steuersätze für die reichsten und mobilsten Steuerzahler (große Unternehmen, Steuerzahler mit hohem Einkommen und Vermögen) fortwährend weiter gesenkt wurden, und zwar zu Lasten der weniger wohlhabenden Steuerzahler, die immer höhere Abzüge von ihrem Einkommen verkraften mussten (vor allem über die Mehrwertsteuer und andere indirekte Steuern sowie über Steuer- und Sozialabzüge bei den Löhnen und Gehältern). Dieser Steuerwettbewerb kann nur dadurch beendet werden, dass einer Europäischen Versammlung das Recht verliehen wird, ein gemeinsames Steuersystem einzuführen.

Warum soll ein erheblicher Teil der Einnahmen aus diesen neuen Steuern wieder an die Mitgliedstaaten zurückfließen?

Das vorgeschlagene Haushaltsprojekt sieht vor, dass die Hälfte der neuen Einnahmen aus den vier Steuern auf Unternehmensgewinne, hohe Einkommen, hohe Vermögen und Kohlendioxidausstoß, also 2% des BIP von insgesamt 4% des BIP, an die Mitgliedstaaten zurückfließen soll.

Dies wird die Mitgliedstaaten in die Lage versetzen, diejenigen Steuern zu senken, die vor allem Geringverdiener belasten (Mehrwertsteuer, indirekte Steuern, Steuer- und Sozialabzüge bei den Löhnen und Gehältern usw.), und zwar jeweils gemäß ihren eigenen Prioritäten.

Die Europäische Versammlung könnte auch beschließen, die gesamten Steuereinnahmen auf diese Weise umzuschichten. Diese Lösung wäre zwar nicht unsere erste Wahl, da wir es für wichtig halten, dass die neuen Einnahmen auch zur Finanzierung gemeinsamer Investitionen in die Zukunft genutzt werden. Aber sie wäre dennoch eine deutliche Verbesserung gegenüber der jetzigen Situation: Die Europäische Versammlung wäre ein Instrument, das jeden Mitgliedstaat in die Lage versetzt, im eigenen Land für größere Steuergerechtigkeit zu sorgen.

Wozu braucht Europa gemeinsame Investitionen und einen gemeinsamen europäischen Haushalt?

Die Staaten der Europäischen Union verfügen, ob sie es wollen oder nicht, über einige gemeinsame öffentliche Güter. Gemeinsame oder geteilte Güter sind solche, die nicht exklusiv einem Land gehören, bei denen bestimmte Aspekte über die Verwaltungsgrenzen hinausreichen – das Klima zum Beispiel. Die Tatsache, dass diese Güter der Bevölkerung grenzübergreifend Nutzen bringen oder Kosten verursachen, rechtfertigt ein gemeinsames Regierungshandeln. Ebenso sehen sich die Länder Europas mit einigen gemeinsamen Herausforderungen konfrontiert, die nicht allein durch nationalstaatliche Steuerung zu bewältigen sind. Wie soll beispielsweise der ökologische Wandel in den nationalen Volkswirtschaften ohne eine gemeinsame Politik organisiert werden? Wie sollen die großen digitalen Unternehmen in Europa reguliert werden, wenn es dafür keine einheitliche Strategie gibt? Der vorgeschlagene Haushalt verfügt deshalb über vier Achsen für verschiedene Herausforderungen und gemeinsame Güter in Europa: Wissen, Umwelt, Aufnahme von Migranten und Besteuerung.

Das Ziel ist, eine europäische Gemeinschaftlichkeit zu schaffen, die es der Europäischen Union erlaubt, die eigene Zukunft zu planen, indem sie einen Wandel in ihrem Wachstumsmodus herbeiführt und die Globalisierung so reguliert, dass ein eigenständiges europäisches Modell für eine dauerhafte und gerechte Entwicklung gefördert wird.

Warum ist die Europäische Versammlung so stark von den nationalen Parlamenten geprägt und nicht allein vom Europäischen Parlament? Wird dadurch nicht das supranationale Ziel infrage gestellt?

Unser Vorschlag im DemV sieht vor, dass die Europäische Versammlung sich zu 80% aus gewählten Mitgliedern der nationalen Parlamente (anteilig nach den im nationalen Parlament jeweils vertretenen Fraktionen) und zu einem Fünftel, also 20%, aus gewählten Mitgliedern des Europäischen Parlaments (ebenfalls anteilig nach den dort vertretenen Fraktionen) zusammensetzen soll.

Der erste Grund, warum wir denken, dass die Mehrheit der Mitglieder aus den nationalen Parlamenten stammen sollte, betrifft die Frage der Legitimation von steuerlichen Maßnahmen: Eines der Haupthindernisse für eine Fiskalunion ist die Weigerung der nationalen Parlamente, ihr Monopol auf dieses Hoheitsrecht aufzugeben.

Ein weiterer, noch weitaus wichtigerer Grund ist, dass es nach unserer Auffassung entscheidend darauf ankommt, aus den nationalen Parlamentswahlen de facto europäische Wahlen zu machen. Wenn wir der Erzählung von Europa wieder Bedeutung verleihen wollen, dann muss das nationale politische Projekt Teil eines europäischen Projekts werden. In nationalen Wahlkämpfen darf Europa nicht als Sündenbock herhalten; dies würde nur dem Populismus weiteren Auftrieb geben. Die Entsendung von national gewählten Abgeordneten in die Europäische Versammlung würde bedeuten, dass sich die Kandidaten in nationalen Parlamentswahlen nicht länger vor der Verantwortung drücken können, indem sie die Schuld auf Brüssel abwälzen. Sie werden den Wählerinnen und Wählern erklären müssen, welche Projekte und Haushalte sie in der Europäischen Versammlung zu verteidigen gedenken. Durch das Zusammenbringen von nationalen und europäischen Abgeordneten in einer Versammlung wird eine Kultur des gemeinsamen Regierens etabliert, die momentan nur zwischen den Staatsoberhäuptern und Finanzministern existiert.

Kann das Projekt auch mit einer Europäischen Versammlung funktionieren, die genau so verfasst ist wie das derzeitige Europäische Parlament?

Formal betrachtet ja. Nach politischen und demokratischen Gesichtspunkten wäre dies jedoch nicht die beste Lösung.

Der hier veröffentlichte Vorschlag sieht vor, dass sich die Europäische Versammlung zu 80% aus gewählten Mitgliedern der nationalen Parlamente und zu 20% aus Mitgliedern des Europäischen Parlaments zusammensetzt. Über diese Aufteilung kann noch weiter diskutiert werden. Es wäre durchaus denkbar, den Anteil der national gewählten Mitglieder zu senken, zum Beispiel auf 50%.

Rein formal könnte ihr Anteil auch auf 0% reduziert werden; in diesem Fall wäre die Zusammensetzung der Europäischen Versammlung identisch mit der des Europäischen Parlaments, mit dem Unterschied, dass die Versammlung weitaus größere fiskal- und haushaltspolitische Macht hätte. Da zum jetzigen Zeitpunkt jeder EU-Mitgliedstaat über ein Vetorecht verfügt, kann das Europäische Parlament keine einzige europäische Steuer beschließen. Wenn sich eine ausreichende Anzahl von Mitgliedstaaten auf einen Vorschlag dieser Art einigen könnte, würde dies für Europa einen erheblichen Fortschritt bedeuten, den wir begrüßen würden.
Allerdings warnen wir von den politischen und demokratischen Risiken, die eine solche Lösung mit sich bringen würde, und allgemein vor einer zu großen Absenkung des Anteils national gewählter Repräsentanten (unter 50%). Dies könnte zu zukünftigen Legitimationskonflikten zwischen der Europäischen Versammlung und den nationalen Parlamenten führen. In diesem Fall ist bis zum Beweis des Gegenteils davon auszugehen, dass sowohl das Besteuerungsrecht als auch das Recht zur Ratifizierung und Aufkündigung von internationalen Verträgen (etwa die europäischen Verträge und insbesondere der DemV) bei den einzelnen Mitgliedstaaten verbleibt. Daher ist einer „Europäisierung“ der nationalen Parlamente eindeutig der Vorzug zu geben, indem diese in das Zentrum der Demokratisierung in Europa gerückt werden.

Inwiefern unterscheidet sich das Projekt von dem von Deutschland und Frankreich angeregten „Budget für die Eurozone“?

In der Meseberger Erklärung vom Juni 2018 haben sich die deutsch-französischen Partner auf einen Fahrplan zur Errichtung eines eigenen Haushalts für die Eurozone bis 2021 verständigt. Das erklärte Ziel dieses Haushalts ist die Stärkung der wirtschaftlichen Konvergenz innerhalb der Eurozone sowie deren Stabilisierung. Zwischen diesem Projekt und unserem gibt es zahlreiche Unterschiede

Ganz allgemein ist das Macron-Merkel-Projekt extrem vage, während unseres konkret ist. Die Unbestimmtheit des Macron-Merkel-Projekts ist insbesondere deshalb problematisch, weil es allen anti-europäischen Wahnvorstellungen neue Nahrung gibt. So können Euroskeptiker zum Beispiel auf das Risiko von gigantischen Transfers zwischen den Euro-Ländern verweisen – ein Risiko, das niemand von der Hand weisen kann. Bei unserem Projekt ist dies nicht möglich, weil darin die Obergrenze für solche Transfers drastisch und explizit festgeschrieben ist.

Außerdem übersteigt der Haushalt im Macron-Merkel-Projekt das BIP nur um einige Zehntel, wohingegen unseres auf 4% des BIP ansteigt (oder auch höher, wenn es die Europäische Versammlung so beschließt).

Davon abgesehen ändert das Macron-Merkel-Projekt nichts an der Intransparenz des derzeitigen europäischen Regierens (bezogen auf die Eurogruppe, die Kommission und den Europäischen Stabilitätsmechanismus), während unser Projekt auf einer tiefgreifenden Demokratisierung Europas beruht, einschließlich der Schaffung einer demokratischen Europäischen Versammlung, zusammengesetzt aus auf nationaler und europäischer Ebene gewählten Repräsentanten, die bei der Verabschiedung des Haushalts gegenüber anderen Instanzen das letzte Wort haben werden.

Schließlich werden mit dem hier vorgeschlagenen Haushalt ambitioniertere Ziele verfolgt als nur die Stabilisierung der Einnahmen oder die Stärkung der Konvergenz. Dieser Haushalt soll Gemeinschaft erzeugen und kollektive Projekte für die Europäische Union insgesamt auf den Weg bringen.

Worin liegt der Unterschied zum deutsch-französischen Projekt einer parlamentarischen Versammlung, die im Oktober 2018 diskutiert wurde?

Im Oktober 2018 sprachen die Regierungen Deutschlands und Frankreichs über die Möglichkeit, eine deutsch-französische „parlamentarische Versammlung“ einzurichten, in der bestimmte Themen, vor allem Fragen der Verteidigung, debattiert werden sollen.

Der Hauptunterschied zu unserem Projekt besteht darin, dass diese parlamentarische Versammlung eine rein beratende Funktion hat (genau wie die Konferenz der Europaausschüsse der Parlamente der Europäischen Union, die im Kontext der bestehenden Verträge bereits existiert). Wir hingegen wollen die Schaffung einer Europäischen Versammlung, die mit echter Finanz- und Budgethoheit ausgestattet ist und somit letzten Endes das Recht hat, gemeinsame Steuern zur Finanzierung eines gemeinsamen Haushalts zu beschließen.

Ist das Manifest zur Demokratisierung links oder rechts?

Das Manifest richtet sich an ausnahmslos alle europäischen Bürgerinnen und Bürger sowie politischen Bewegungen, die sich damit identifizieren und zu seiner Verbesserung beitragen möchten. Uns geht es darum, eine Grundsatzdiskussion in Gang zu bringen, die nichts mit den politischen Etikettierungen der Vergangenheit zu tun hat.

Aufgrund der Konzentration auf soziale und steuerliche Gerechtigkeit und der Möglichkeit, europäische Steuern für die reichsten und mächtigsten wirtschaftlichen Akteure zu erheben, liegt es nahe, das Manifest mit der Linken in Verbindung zu bringen. Es geht hier um ein Manifest einer wahren europäischen Linken und Manifest, das genuin links ist. Die meisten, die am Entwurf des Manifests beteiligt waren, wie auch seine Erstunterzeichner werden sich in dieser Beschreibung wiederfinden.
Aber vor allem haben wir den Eindruck, dass das Thema soziale und steuerliche Gerechtigkeit eines ist, das über die traditionellen Lager hinausreicht und das Potenzial hat, Menschen zusammenzubringen: Zahlreiche europäische Bürgerinnen und Bürger aller politischen Überzeugungen sowie insbesondere viele enttäuschte Bürgerinnen und Bürger, die sich in den vorhandenen politischen Angeboten nicht mehr wiederfinden, erwarten, dass die mächtigsten wirtschaftlichen Akteure gezwungen werden, mindestens so viel beizutragen wie diejenigen mit dem geringsten Einkommen. Viele gesellschaftliche Reformen, die in der Vergangenheit ursprünglich von der „Linken“ vorangetrieben wurden, zum Beispiel das allgemeine Wahlrecht oder die Einkommensteuer, sind heute längst allgemein akzeptiert.

Schließlich reicht die zentrale Frage der Schaffung einer demokratisch legitimierten und souveränen Europäischen Versammlung, zusammengesetzt aus den Mitgliedern der nationalen und europäischen Parlamente, schon allein deshalb weit über die traditionellen politischen Unterschiede hinaus, weil sich diese Frage bislang noch nie gestellt hat. Niemals in der Vergangenheit haben die alten Nationalstaaten eine derartig weitreichende Vergemeinschaftung von Steuerhoheit beschlossen wie hier vorgeschlagen. Unser Ziel ist es, einen Beitrag zu dieser Grundsatzdiskussion zu leisten, ohne diese auf die Positionen „links“ und „rechts“ zu verengen.

Warum wird der Haushalt als „Demokratisierungshaushalt“ bezeichnet?

Das Haushaltsjahr nimmt im demokratischen Prozess eine zentrale Stellung ein. Es setzt den Rahmen für die politischen Vorhaben einer Regierung und bringt über den Entwurf und die Bewilligung des jährlichen Haushaltsplans die demokratischen Kräfte ins Spiel. Der Haushalt ist daher insofern der Gründungsakt einer politischen Gemeinschaft, als er den politischen Raum erschafft und als Hebel für das demokratische Leben in den lokalen Gemeinwesen dient. Die Schaffung eines europäischen Haushalts ist somit die Grundlage für die Schaffung einer europäischen politischen Gemeinschaft und einer demokratischen Öffentlichkeit.

Dieser Haushalt dient außerdem zur Finanzierung der Grundbedingungen, unter denen Demokratie in Europa überhaupt erst realisierbar ist. Indem die Achtung sozialer Gerechtigkeit und ein dauerhaftes und ausgeglichenes Wachstum gewährleistet werden, reagiert dieser Haushalt auf die Risiken, mit denen Europa konfrontiert ist. Um seine Legitimität zu erhalten, muss der Sozialstaat in der Lage sein, den vorhandenen Wohlstand gerecht umzuverteilen. Um die Legitimität des gemeinsamen Marktes zu verteidigen, muss Europa in der Lage sein, die Globalisierung zu regulieren und die Volkswirtschaften in Richtung eines nachhaltigen Wachstums zu lenken.

Warum ist die Annahme des DemV so dringend?

Im Angesicht der Finanzkrise haben die Mitgliedstaaten ein genuin europäisches Wirtschaftsregime errichtet, um den Herausforderungen der Schuldenkrise Herr zu werden. Das Problem ist, dass dieses Krisenregime institutionalisiert worden ist, ohne es zu demokratisieren, und dass es für die Bürgerinnen und Bürger extrem intransparent bleibt.

Im Zuge der Finanzkrise war Europa mit einem echten sozialen, demokratischen und ökologischen Notfall konfrontiert. Die Gesellschaft wandte den Blick zunehmend nach innen, das Projekt Europa verlor an Bedeutung, ein Gefühl des Abgehängtseins machte sich in manchen Teilen der Bevölkerung breit, und es gab einen Anstieg der Ungleichheit. Als Folge davon wurde die Europäische Union zum Sündenbock erklärt und für alle sozialen Spannungen verantwortlich gemacht.

Diese Krise rechtfertigt die Schaffung einer neuen europäischen Regierung, der Europäischen Versammlung, die die Demokratisierung der Wirtschafts- und Sozialpolitik der Europäischen Union ermöglichen wird. Das DemV-Projekt hat zum Ziel, die Demokratie in der EU wiederzubeleben, indem es konkrete und erreichbare Instrumente bereitstellt, mit denen die Bürgerinnen und Bürger die Kontrolle über das europäische Projekt zurückgewinnen und Antworten auf die sozialen und ökologischen Herausforderungen geben können. Die Schaffung eines gemeinsamen politischen Raums wird es den Bürgerinnen und Bürgern ermöglichen, eine neue gemeinsame Erzählung von Europa zu schreiben. Das Projekt will die Blockade in Europa überwinden, indem ein Gefühl europäischer Gemeinschaftlichkeit erzeugt wird.

Inwiefern unterscheidet sich dieses Projekt von den vielen anderen Appellen für ein soziales Europa?

Dieses Projekt ist zuvörderst ein Appell für eine neue europäische Dynamik und bietet endlich spezifische und konkrete Vorschläge, mit denen Europa neugestaltet und mehr steuerliche und soziale Gerechtigkeit erreicht werden können. Wir formulieren haushaltsrechtliche Vorschläge, die zu Ende gedacht sind und sofort angewendet werden können, aber auch eine Grundlage bilden für Verhandlungen, für eine konkrete Diskussion, die verdeutlicht, dass es möglich ist, in Europa etwas zu ändern, und dass nicht alles blockiert ist. Unser Vorschlag zielt auf eine materielle Utopie, die leistungsorientiert sein soll.

Was würde aus dem Europäischen Parlament? Wie würde die neue Europäische Versammlung mit den anderen Institutionen zusammenarbeiten?

Heute existiert in Europa mit der Eurogruppe ein Wirtschaftsregime, das sich im Vergleich zum ursprünglichen Regieren in Europa und zum Europäischen Parlament verselbständigt hat. Dies rechtfertigt die Schaffung einer neuen Versammlung, um die demokratische Kontrolle dieses Wirtschaftsregimes zu sichern. Darüber hinaus würde die Europäische Versammlung über Kompetenzen in Steuerfragen verfügen und sich somit als europäischen Arm der nationalen Parlamente begreifen, während das Europäische Parlament eher transnationalen Charakter hat. Das Europäische Parlament wäre jedoch in dieser neuen Versammlung keine unbekannte Größe, da einige seiner gewählten Mitglieder gleichzeitig Mitglieder der Versammlung wären.

Was ist mit der Bündelung von Staatsschulden gemeint?

Wir schlagen die Möglichkeit vor (sofern es die Europäische Versammlung so beschließt), die Refinanzierung der Gesamtschulden von Staaten, oder eines Teils ihrer Schulden, zu bündeln (Artikel 10 des DemV). Dieser Vorschlag schließt an den „Schuldentilgungsfonds“ an, der 2012 vom Wirtschaftsrat des deutschen Bundeskanzleramts ins Gespräch gebracht wurde – mit dem Unterschied, dass ein demokratisches Organ (die Europäische Versammlung) und nicht eine automatische Regel über den Rückzahlungsrhythmus bestimmt. Jedes Land würde weiterhin seine eigenen Schulden tilgen, allerdings zu einem Zinssatz, der für alle gleich ist. Auf diese Weise ließe sich eine Krise in den Zinsaufschlägen, wie wir sie schon einmal hatten, vermeiden, und es würde ein neuer Bezugspunkt gesetzt, der zufriedenstellender ist als der des Marktes.

Ist das vorgeschlagene Projekt das einzig mögliche oder kann es noch verändert werden?

Wir möchten betonen, dass unser gesamter Vorschlag ergänzt und verändert werden kann und lediglich als Diskussionsgrundlage dienen soll. Er enthält etliche Parameter, die verändert werden können, um das Projekt unseren Zielen anzupassen. So kann beispielsweise der Anteil der national gewählten Mitglieder der Europäischen Versammlung (80% im derzeitigen Projekt) verringert werden. Die Obergrenze für Finanztransfers – 0,1% des BIP – kann ebenfalls angepasst werden, je nachdem, ob der Haushalt mit dem Ziel einer Konvergenz der Volkswirtschaften ausgerichtet werden soll – was unser Ziel ist – oder ob Ungleichheiten innerhalb der verschiedenen Länder reduziert und gemeinsame Zukunftsprojekte finanziert werden sollen. Ein anderes Beispiel: Wir schlagen vor, dass der Vertrag dann in Kraft treten soll, wenn die unterzeichnenden Mitgliedstaaten mindestens 70% der Bevölkerung der Europäischen Union repräsentieren. Wir sind der Auffassung, dass diese Zahl eine vertretbare Schwelle zur demokratischen Legitimierung der Kontrolle über die Wirtschaftspolitik in Europa darstellt. Es ist jedoch auch denkbar, dass der Vertrag zunächst nur von Ländern angenommen wird, die einen kleineren Teil der Bevölkerung repräsentieren und sich auf steuerliche Aspekte konzentrieren: Eine gemeinsame französisch-belgische, französisch-deutsche oder französisch-deutsch-belgische Versammlung, die eine gemeinsame Unternehmenssteuer auf Firmen oder große Vermögen erhebt, wäre bereits ein großer Fortschritt!

Unser Ziel ist nicht, einen Schlussstrich unter die Diskussion zu ziehen, sondern sie auf präzisen Grundlagen neu zu öffnen. Jeder und jede hat das Recht, unseren Vorschlägen zu widersprechen, aber nur unter der Bedingung, dass die angestrebten Alternativen genauso präzise dargelegt werden. Die Debatte über Europa wird gegenwärtig zu oft mit dem Argument abgewürgt, dass „nichts möglich ist“. Wir hoffen, dass jetzt die Zeit für konkrete Vorschläge gekommen ist.

Müssen die europäischen Verträge nicht viel grundsätzlicher kritisiert werden?

Der vorgeschlagene DemV will den Ländern, die dies wünschen, ein Instrument zum Handeln geben, ohne dass ein anderes EU-Land sein Veto einlegen und alles blockieren kann. Aber es liegt auf der Hand, dass der ideale Weg letztlich darin bestünde, alle Verträge gründlich zu überarbeiten. Wir machen es uns jedoch zu leicht, wenn wir sagen, wir kündigen alle Verträge auf, ohne genau zu erläutern, welche neuen Verträge an deren Stelle treten sollen. Sich nur aus bestimmten Aspekten der bestehenden Verträge zu verabschieden könnte eine nützliche Strategie für die Zukunft sein, aber nur unter der Bedingung, dass konstruktive und alternative Vorschläge gemacht werden. Dies ist der Geist des DemV.

Warum verbessern wir nicht lieber die Verhältnisse im Rahmen der bestehenden Institutionen?

Das Problem ist, dass die bestehenden Institutionen, vor allem aufgrund des Vetorechts einzelner Länder bei fiskalpolitischen Entscheidungen, uns keine Möglichkeit bieten, eine höhere Steuergerechtigkeit zu erreichen. Zu erwarten, dass die Menschen das Gegenteil glauben, wo doch die Bürgerinnen und Bürger Europas seit Jahren erleben, dass dieser Weg nicht funktioniert, würde bedeuten, das Misstrauen im Umgang mit den europäischen Institutionen noch weiter zu verstärken.

Wie kann es sein, dass einige Länder schneller voranschreiten als andere? Ist das von den jetzigen Verträgen gedeckt?

Alle Länder der EU hatten schon immer das Recht, untereinander bilaterale oder multilaterale Abkommen zu schließen, solange dadurch nicht vertragliche Verpflichtungen verletzt werden, die sie bereits zuvor eingegangen sind (außer natürlich, sie kündigen letztere auf). In diesem Fall steht der DemV zu keinem der bestehenden europäischen Verträge im Widerspruch, weil die neuen Hoheitsrechte (insbesondere auf steuerlicher Ebene), die eine Europäische Versammlung qua DemV erhält, in den jetzigen Verträgen nicht erwähnt werden.

Was nützt es, wenn nur einige wenige Länder vorangehen?

Ein Grund, warum Europa im Ruf steht, „in Stein gemeißelt“ oder unveränderbar zu sein, ist der äußerst mühsame Verhandlungsprozess mit 27 oder 28 Ländern. Vor ihrer Erweiterung wurde die Europäische Union von einigen wenigen Ländern aufgebaut. Daher scheint es nur logisch, dass der nächste Schritt zunächst ebenfalls von einer kleineren Gruppe gegangen wird. Der derzeitige Mechanismus der „verstärkten Zusammenarbeit“ ist ungeeignet, weil er nicht auf wirklich demokratischen Institutionen beruht – deshalb der DemV-Vorschlag und die Errichtung einer Europäischen Versammlung, die de facto einen demokratisch legitimierten Rahmen für die Einführung deutlich weitreichenderer Formen der „verstärkten Zusammenarbeit“ bietet als die derzeit erlaubten, und zwar insbesondere im Bereich der Steuer- und Haushaltspolitik.

Welches Interesse sollten Irland und Luxemburg haben, sich einem Haushalt anzuschließen, der einen höheren Mindeststeuersatz vorsieht?

Der vorgeschlagene Haushalt besteht nicht ausschließlich aus Steuern; es gibt auch Investitionen in Zukunftsprojekte. Steuerlicher Wettbewerb ist kein besonders solides Mittel zur Entwicklungsförderung und erzeugt nur wenig Mehrwert. Der ökologische Wandel eines ganzen Kontinents hingegen ist ein sehr viel attraktiveres Mittel zur Entwicklungsförderung. Wir müssen aus dem Teufelskreis des unfairen Wettbewerbs ausbrechen.

Davon abgesehen müssen Irland und Luxemburg dem Projekt gar nicht sofort beitreten. Es geht einfach darum zu verhindern, dass sie andere Länder, die vorangehen wollen, mit ihrem Veto blockieren. Dies würde Ländern, die dem DemV beitreten wollen, die Möglichkeit geben, den anderen die Vorteile gemeinsamer Steuern und Haushalte zu demonstrieren und sie dadurch zu überzeugen, sich dem Projekt ebenfalls anzuschließen.

Was spricht dagegen, den Mechanismus der „verstärkten Zusammenarbeit“ zu nutzen, der bereits in den bestehenden Verträgen enthalten ist?

Die „verstärkte Zusammenarbeit“ zwischen Mitgliedstaaten der Union wird bisweilen als Möglichkeit dargestellt, das Prinzip der Einstimmigkeit zu überwinden, vor allem auf dem Gebiet der Besteuerung. In Wirklichkeit beruht dieser Mechanismus jedoch auf äußerst restriktiven Regeln, die heute jeden wirklichen Fortschritt im fiskalpolitischen oder institutionellen Bereich blockieren. Um im Rahmen der verstärkten Zusammenarbeit eine gemeinsame Unternehmenssteuer (oder jeder andere gemeinsame Steuer) einzuführen, wären mindestens 9 teilnehmende Mitgliedstaaten sowie eine qualifizierte Mehrheit im Europäischen Rat erforderlich.

Konkret bedeutet dies, dass neben der Beteiligung von 9 Mitgliedstaaten die Zustimmung von 55% der Mitglieder des Europäischen Rats (entspricht 65% der Bevölkerung) nötig wäre, damit eine solche Steuerinitiative Erfolg hätte. Der Prozess wird noch weiter dadurch erschwert, dass, wenn die Kommission dem Vorschlag nicht vorher zustimmt (wovon auszugehen ist), im Rat sogar 72% der Mitgliedstaaten zustimmen müssten, die 65% der EU-Bevölkerung repräsentieren! So können am Ende 4 Staaten, hinter denen 35% der Bevölkerung stehen, das Vorhaben komplett blockieren.

Kurz gesagt ist es über die „verstärkte Zusammenarbeit“ derzeit nicht möglich, dass eine kleine Gruppe von Ländern eine steuerliche Harmonisierung oder eine weitreichende institutionelle Reform in Angriff nimmt. Nichts hindert hingegen eine Gruppe von richtungsweisenden Staaten daran, mithilfe eines Vertrags und einer Versammlung, wie hier vorgeschlagen, ein gemeinsames Steuersystem zu erschaffen. Wir sind der Auffassung, dass dies eine Dynamik für weitere Möglichkeiten erzeugen könnte (wie zu Beginn des Aufbaus Europas), die die derzeitige institutionelle Erstarrung durchbrechen könnte.

Woher nehmen Sie die Gewissheit, dass die Europäische Versammlung tatsächlich einen Haushalt der hier vorgeschlagenen Art beschließt?

Es ist per Definition unmöglich, im Voraus zu wissen, was die Europäische Versammlung beschließen wird. Aber wir sind überzeugt, dass der einzige Weg, Europa voranzubringen, darin besteht, Vertrauen in die Demokratie zu haben.

Momentan besteht aufgrund des Einstimmigkeitsprinzips in der Steuerpolitik keine Möglichkeit, gemeinsame Steuern zur Verringerung der Ungleichheiten in Europa einzuführen. Mit der Europäischen Versammlung und dem Demokratisierungsvertrag wird hingegen eine solche Möglichkeit existieren. Im schlimmsten Fall wird die Europäische Versammlung keine dieser Steuern einführen oder sie, zumindest zu Beginn, nur zu äußerst reduzierten Sätzen einführen. Doch dies wird die Staaten in keiner Weise davon abhalten, weiterhin der aktuellen Steuerpolitik zu folgen. Die Europäische Versammlung wird die Möglichkeit eröffnen, gemeinsame Steuern einzuführen, und zwar in diesem Fall umverteilende und ökologische Steuern (Steuern auf Unternehmensgewinne, auf hohe Einkommen und Vermögen sowie auf Kohlendioxidausstoß), doch davon werden die Rechte der Mitgliedstaaten in keiner Weise berührt.

Darüber hinaus zeigt die Parlaments- und Steuergeschichte, dass die Einrichtung parlamentarischer Versammlungen mit weitreichenden Steuerkompetenzen sich sehr schnell auf die politische Dynamik auswirkt. Nach der Einführung des 16. Zusatzes zur amerikanischen Verfassung im Jahr 1913 dauerte es nicht lange, bis der US-Kongress seine neugewonnene Macht dazu nutzte, einige der progressivsten Einkommen- und Erbschaftssteuern der Geschichte zu beschließen. Umgekehrt ist es gerade das Fehlen parlamentarischer Steuerkompetenzen auf europäischer Ebene und die Rivalität zwischen den nationalen Parlamenten, die dazu geführt haben, dass in Europa die Steuersätze auf Unternehmensgewinne seit den 1980er und 1990er Jahren insgesamt gesunken sind, während der US-Kongress mit seinen zusätzlichen Steuersätzen (bis vor kurzem) 35% über dem Niveau der einzelstaatlichen Steuern geblieben ist. Wenn eine Europäische Versammlung diese Macht hätte, würde sie wahrscheinlich als Reaktion auf die Forderung einer großen Mehrheit in der europäischen Öffentlichkeit quer durch alle politischen Lager beschließen, Unternehmensgewinne hoch zu besteuern, um proaktiv die mächtigsten wirtschaftlichen Akteure dazu zu bringen, ihren Beitrag zu leisten.